Innere SicherheitRechtspolitikHörfunkbeiträge

Todsichere Haftanstalt

Der Mord an einem 20jährigen in der Justizvollzugsanstalt Siegburg hat etwas von einem Horrorfilm: Sowohl die Tat selber als auch das nicht Sehen und Hören der Aufseher.

Obwohl nun laut nach Konsequenzen gerufen wird, könnte ich wetten, dass es – den ein oder andere Rücktritt mal ausgenommen – keine ernsthaften, grundlegenden Konsequenzen geben wird. Hörbar dazu mein Kommentar im Deutschlandfunk.

Nachlesbar dazu auch mein Hintergrund Politik, weiter unten.

Frust hinter Gittern

Gewalt im Jugendstrafvollzug

Von Claudia Sanders

Nach dem Mord an einem Strafgefangenen im Siegburger Gefängnis sind Experten der Ansicht, dass die Tat hätte verhindert werden können. Aber im deutschen Strafvollzug liegt einiges im Argen: Gefängnisse sind überbelegt, das Personal wird reduziert. Die Häftlinge werden eher verwahrt denn resozialisiert und betreut.

… Getreten, ihn gequält, ihm Dinge zu trinken gegeben, so dass er sich erbrechen musste, er musste das Erbrochene dann wieder essen, er musste Urin trinken. Ich möchte es dabei bewenden lassen, es ist übel, ganz, ganz übel.

Der Bonner Oberstaatsanwalt Fred Apostel hat schon so einiges in seiner Laufbahn erlebt. Doch als er schildert, wie drei Jugendliche Gefangene einen 20jährigen im Siegburger Gefängnis ermordet haben, wird auch seine Stimme brüchig. Nicht ganz zwei Wochen ist es her, dass der 20jährige gefoltert wurde, über zwölf Stunden lang – gnadenlos und grausam. Zweimal versuchten die Täter ihr Opfer aufzuhängen, beim dritten und letzten Mal zwangen sie ihn, selber mit Hand anzulegen.

Ein erschreckendes Motiv, das genannt wurde, war, dass man einen Menschen mal sterben sehen wollte.

Die Täter sind selber erst 17, 19 und 20 Jahre alt. Alle drei sind wegen Gewaltdelikten verurteilt. Ihr Opfer ist ein Drogenabhängiger, der in einen Kiosk eingebrochen hatte. Eigentlich soll er dafür Sozialstunden ableisten, doch er tritt seinen Dienst nicht an und kommt deshalb ins Gefängnis. Dort teilt er sich mit seinen Mördern die Zelle.

Die Justizvollzugsbeamten bemerken das Geschehen in der Zelle nicht. Als es dem Opfer gelingt den Notrufknopf zu drücken, versichern die Täter den Beamten, das sei nur ein Versehen gewesen. In aller Ruhe foltern sie weiter, denn am Wochenende gibt es kaum Personal in dem Gefängnis, sagt Rudolf Hebbeler. Er war bis zu seiner Pensionierung Gefängnispfarrer in Siegburg:

Wenn die Leute Samstags mittags zum letzten Mal den Beamten sehen, und aus Einsparungsgründen schon am Mittag oder am Vormittag das Abendbrot auf die Zelle gestellt bekommen, dann können sie sich vorstellen wie lange die Menschen eigentlich ganz alleine sind: Von mittags bis zum anderen Morgen, am Sonntag bei der Frühstücksausgabe. Und es ist eigentlich üblich, dass der Beamte an der Tür vorbeigeht, nach dem Wecken, die Leute stehen auf, damit er sieht: die leben und so was kann er öfters machen, gegen Abend noch einmal einen Rundgang und das fällt samstags aus. Da ist der Nachtverschluss bereits mittags passiert.

Als der Tote entdeckt wird, vermutet der Amtsarzt erst einen Selbstmord. Doch schnell wird klar, dass es hier um Mord geht. Trotz dieser Hinweise fährt der Gefängnisleiter zu einer Fortbildung. Das zuständige nordrhein-westfälische Justizministerium wird erst am folgenden Dienstag informiert. Nach und nach werden die grausamen Details des Mordes bekannt.

Nicht nur Experten sind der Ansicht: Dieser Mord hätte verhindert werden können. Aber im deutschen Strafvollzug liegt einiges im Argen: Gefängnisse sind überbelegt, das Personal wird reduziert. Die Häftlinge werden eher verwahrt denn resozialisiert und betreut. So ist es auch in Nordrhein-Westfalen: Die Justizministerin des Landes, Roswitha Müller Piepenkötter, steht nun deshalb unter Druck. Als Reaktion kündigt sie eine Reihe von Maßnahmen an: Alles soll akribisch untersucht und mehr Personal eingestellt werden. Der bisherige Siegburger Gefängnisleiter verrichtet nun erst einmal seinen Dienst in Wuppertal. Und:

Zur Entspannung der Belastungssituation, nicht zuletzt im Jugendvollzug werden wir in der Abschiebehaftanstalt Büren ein seit längerem fast leer stehendes Hafthaus mit rund 150 Plätzen kurzfristig so umbauen, dass es für den Strafvollzug genutzt werden kann.

Gestern ist ein weiterer Fall aus einer nordrhein-westfälischen Haftanstalt bekannt geworden – dieses Mal in Siegen: Hier wurde im Juli ein Man von anderen Häftlingen gezwungen sich die Pulsadern aufzuschneiden. Dieses Opfer konnte gerettet werden.

Aufgrund dieser Vorfälle muss Justizministerin Müller-Piepenkötter eine kritische Bilanz der bisherigen Landes-Politik ziehen:

Wir haben Konzepte gehabt und wir müssen jetzt aus diesem Fall feststellen unsere Konzepte haben Fehler. Wir haben natürlich nicht genug getan, dann wäre es nicht passiert.

Es sind offenbare, strukturelle Probleme, die den Alltag in den Gefängnissen sowohl für Häftlinge aber auch die Mitarbeiter gefährlich machen. Klaus Jäckel ist Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Verbandes des Bundes der Strafvollzugsbediensteten.

Wir haben alleine in den letzten zehn Jahren eine Zunahme von 250 Prozent rechtskräftig verurteilter Gewalttäter und das Kontraproduktive ist, dass in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Personal abgebaut wurde und damit natürlich also keine genügende Betreuung entsprechend des Strafvollzuggesetzes erfolgen kann.

Auch auf höherer Ebene, bei den Leitern der Haftanstalten – hat sich schon lange Unmut breit gemacht. Wolfgang Fixson ist der Vorsitzende der deutschen Anstaltleitervereinigung:

Die deutschen Gefängnisse sind gekennzeichnet durch Überbelegung und daraus resultiert die Forderung, der deutschen Anstaltsleitervereinigung unbedingt während der Nachtzeit Einzelunterbringung sicherzustellen.

Und Klaus Jäckel ergänzt:

Man hat hinterher nur noch den Wegsperrvollzug, den Verwahrvollzug, es entwickeln sich eigene Strukturen, Subkulturen, die man nicht mehr beherrschen kann und wenn es dann knallt, dann ist es zu spät.

Kritiker fragen: Wie kann es sein, dass in einer staatlichen Institution, wie einem Gefängnis, Subkulturen entstehen? Für Experten wie Mechthild Bereswill ist das nicht überraschend. Die Mitarbeiterin des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen hat schon mehrere Studien über jugendliche Strafgefangene begleitet:

Wir haben es mit einer eigenen Gruppendynamik zu tun, die jetzt aber nicht vollkommen anders verläuft, als Gruppendynamiken zwischen jungen Männern außerhalb von Gefängnissen. Das Entscheidende ist, dass durch die Geschlossenheit sich Konflikte in der männlichen Gleichaltrigengruppe zuspitzen, so zum Beispiel bei Gesichtsverlust bei gewaltaffinen Auseinandersetzungen kann nicht mehr ausgewichen werden, sondern durch die geschlossene Unterbringung ist die Gefahr und Gefährdung auch durch den schnellen Wechsel der Opfer/Täter Position zugespitzt und unausweichlich.

Jugendliche Häftlinge, die sich ihre eigenen Rituale und Machträume hinter Gittern schaffen und so den Alltag beherrschen. Das hat auch der ehemalige Siegburger Gefängnispfarrer Rudolf Hebbeler erlebt:

Es ist immer Gewalt im Gefängnis, es ist immer etwas was im Schatten läuft, wo keiner Zugriff hat. Jetzt scheint es aber sehr extrem zu sein, weil sich traurigerweise etwas erfüllt hat, worauf wir immer hinweisen mussten: Lasst die Leute allein, lass die Subkultur allein, da kommt nie Kultur raus, sondern immer Sub, das Untere: Die Methoden im Knast sind einfach die der Nacht und des Schattens.

Wir sehen an diesem Fall die Muster von Gewalt, die den Strafvollzug auch prägen, also Gruppenbezogene Aushandlung einer schwachen Opferposition und der Einbezug von anderen Inhaftiertengruppen in die Rituale der Demütigung. Die Androhung und manchmal eben auch Umsetzung von Gewalt strukturiert Gefängnisse schon sehr grundlegend und das ist eben auch ein Resultat von Erfahrung von Geschlossenheit.

Unhaltbare Zustände, die von Niemandem gewollt sind. Rein rechtlich wird zwischen dem Erwachsenenstrafvollzug und dem Jugendstrafvollzug unterschieden. Erwachsene Täter sollen resozialisiert, Jugendliche erzogen werden. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus: Klaus Boers ist Kriminologe an der Universität Münster:

Der Täter soll durch die Wahrscheinlichkeit verbessert werden, dass der Täter auch ein Leben ohne Straftaten führen kann. Wir wissen, dass es so nicht funktioniert. Im Erwachsenenstrafvollzug haben wir 50-60 Prozentige Rückfallraten, im Jugendstrafvollzug 70-80 Prozentige. Man spricht deshalb seit langem von der Krise des Strafrechts. Im Strafvollzug wird nichts besser.

Dabei, so Boers, gebe es durchaus engagierte Praktiker: Anstaltsleiter, Sozialarbeiter, Justizvollzugsbedienstete und viele ehrenamtliche Mitarbeiter. Doch auch das größte Bemühen ist nutzlos, wenn es im Grunde nur um eins geht: Den Mangel zu verwalten.

Der Strafvollzug selbst ist, wie man so sagt, ein „Setting“, er entfaltet eine Atmosphäre, in der die Menschen nicht besser werden. Man sagt ja, das Gefängnis ist die Hochschule des Verbrechens und das gilt immer noch. Man kann nur die Quoten verringern indem man soweit wie möglich auf die Leute eingeht und auch die Anstalten klein hält, kleine Gruppen, die man auch besser kontrollieren kann, im übrigen. Das wären wichtige Vorraussetzungen.

Kleine Gruppen und eine bessere Betreuung, gerade bei den Jugendlichen und Heranwachsenden wären also wünschenswert. Denn sie sollen im Gefängnis ja die Chance haben, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung nachzuholen. Das klappe zwar nicht immer, sagt die Kriminologin Mechthild Bereswill. Aber es sei ein guter Anfang, denn insgesamt …

Sehen wir, dass der Effekt dieser enormen Strukturierung in der geschlossenen Unterbringung zu so was wie einem Anschub von Lernprozessen führt, aber wenn die nicht aufgefangen werden, im weiteren Prozess, dann verpuffen die und nicht nur das, ganz im Gegenteil, sie führen zu einer solchen Desillusionierung, dass man die männliche Normalbiografie eben als guter Erwerbsarbeiter doch nicht erreichen kann, dass es eigentlich ein paradoxer Effekt ist, der Desintegration langfristig eher verstärkt als sie zu relativieren.

Das ist zeitintensiv und kostenintensiv, aber das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem in seinem Urteil vom Mai dieses Jahres betont, dass wer junge Menschen, überhaupt Menschen einsperrt, der Staat, dass er die Verantwortung hat dafür zu sorgen, dass sie eine Chance zur sozialen Integration haben. Dass diese Chance zur sozialen Integration verbessert wird. Und diese Verantwortung müssen wir als Gesellschaft und als Staat übernehmen.

sagt der Kriminologe Boers. Doch das ist kein einfaches Unterfangen. Häftlinge haben keine Lobby und Wählerstimmen lassen sich mit dem Thema „Mehr Geld für Haftanstalten“ auch nicht gewinnen. Das war schon immer so. Anfang der 70ger Jahre monierte das Bundesverfassungsgericht, es gebe kein Gesetz für den Strafvollzug von Erwachsenen. Fünf Jahre dauerte es bis sich auf politischer Ebene alle einig waren. Ein Gesetz für die Haft von Jugendlichen fehlt bis heute. Deswegen haben die Karlsruher Richter in diesem Jahr noch einmal Druck gemacht: Bis Ende 2007 muss ein Gesetz verabschiedet sein. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Karlsruhe hat gesagt, es müssen Maßnahmen ergriffen werden um gewalttätige Übergriffe zu vermeiden und sie haben auch gesagt, dass die Belegungszahlen in den Zellen zu reduzieren sind.

Konzepte, wie das im Jugendstrafvollzug umgesetzt werden kann, gibt es. Die Kriminologin Mechthild Bereswill:

Nicht umsonst hat sich im Zuge der Reform des westdeutschen Strafvollzuges ja der Wohngruppen Vollzug etabliert. Dessen Ansatzpunkt ist es ja auch mit der Gruppe zu arbeiten und die Potentiale der Gruppe zu nutzen für Prozesse sozialen Lernens, der Restrukturierung oder Herausbildung einer stabileren Struktur, die dann dazu führt Integrationskonflikte langfristig anders bewältigen zu können.

Wobei der Straffvollzug für Jugendliche in einer Wohngruppe alles andere als angenehm für die Täter ist, sagt Klaus Boers:

Übrigens viele Gefangene mögen das gar nicht so sehr, weil sie natürlich merken, die Kontrolle wird größer im Wohngruppenvollzug. Sie möchten lieber für sich alleine sein und nicht den ganzen Sozi-Kram am Hals haben. Sozi-Kram sind die Sozialpädagogen. Wohngruppenvollzug ist anstrengend für Jugendliche, weil sie auch mehr hinterfragt werden, mehr gefragt werden was sie machen, was sie heute gemacht haben. Auch wenn sie sich daneben benehmen, sowohl verbal daneben benehmen, oder ruppig werden, wird schon nachgehakt und das ist nicht so nach dem Geschmack vieler Jugendlicher, die so drauf sind.

Der Staat trägt nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter eine ganz besondere Verantwortung, wenn er Jugendliche und Heranwachsende hinter Gitter sperrt. Bei diesen Tätern müsse man davon ausgehen, so die Richter in Karlsruhe , dass bei ihrer Erziehung einiges schief gelaufen sei. Und das müsse der Staat – wenn er zum schärfsten Mittel des Strafrechts greift – nämlich einer Haftstrafe – ausgleichen. In der Praxis scheitert das oft an den Möglichkeiten der Unterbringung. So wie in Siegburg. Hier sind Erwachsene und Jugendliche unter einem Dach inhaftiert. Ein unverzeihlicher Fehler, findet der Münsteraner Professor Klaus Boers, denn Erwachsene haben:

Eine ganz andere, viel dichtere und erfahrenere, profiliertere Subkultur, haben auch viel intensivere, kriminelle Karrieren und auch mehr Leute, die für eine gewisse Phase ihres Lebens die Kriminalität leben und Jugendliche werden in einem hohen Grad lernen von denen, und zwar am negativen Modell, die lernen die schlechten Sachen. Deshalb muss man es trennen. Das Zweite ist der Umgang. Jemand der für den Erwachsenenvollzug ausgebildet ist, kann nicht ohne weiteres im Jugendvollzug arbeiten. Mit Jugendlichen muss anders umgegangen werden als mit Erwachsenen. Da spielt der Erziehungsgedanke eine große Rolle und so weiter. Der Umgang im Erwachsenenstrafvollzug ist auch härter, das muss man im Auge behalten. Das ist ein richtiger Kunstfehler, wenn es da Überschneidungen gibt.

Zudem sind deutsche Gefängnisse seit Jahren chronisch überbelegt. Auch das macht es allen Beteiligten nicht leichter. Resozialisierung oder Erziehung finden da wenig Platz.

Man muss aber sehen, dass wir eigentlich einen großen Teil der Insassen gar nicht brauchen, also die müssen nicht unbedingt im Strafvollzug sein, man könnte die Insassenzahl reduzieren auf den Teil, bei denen man Bedenken hat, die momentan auf der Straße rumlaufen zu lassen, um die könnte man sich intensiver kümmern. Aber es ist sicherlich der falsche Weg, wenn man jetzt sagt, wir schaffen mehr Plätze, wie das in NRW vorgeschlagen worden ist, dass man jetzt 240 mehr Plätze in Jugendstrafanstalten macht. Zum Beispiel in einer Anstalt die dann 400 Insassen hat, das ist viel zu groß, viel zu unübersichtlich, das kann man gar nicht richtig führen und da wird man keinen Erfolg mit haben. Das ist so wie mit Autobahnen. Wenn sie einen Stau auf einer Autobahn haben, sie bauen neue Autobahnen, haben sie bald den nächsten Stau. Und so ähnlich ist es im Strafvollzug. Sie haben dann einfach noch mehr Leute drin und haben dann wieder das Überbelegungsproblem und wieder die Gewaltproblematik in den Subkulturen und so weiter und so fort.

Mehr Gefängnisplätze sind nötig geworden, weil die Zahl der Häftlinge kontinuierlich anwächst – trotz sinkender Zahl der Straftaten. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, der aber schnell aufgeklärt ist: Können beispielsweise Verurteilte ihre Geldstrafe nicht zahlen, müssen Sie ersatzweise ins Gefängnis. Das ist in den letzten Jahren immer häufiger der Fall.

Im Jugendstrafvollzug sieht das etwas anders aus. Hier müssen sich – im Einvernehmen mit den Richtern- die Mitarbeiter des Jugendamtes erst einmal mit so genannten ambulanten Maßnahmen um die Täter kümmern: So bekommen die Täter Hilfe von Sozialarbeitern zu Hause, müssen auf jeden Fall nicht hinter Gitter. Jugendämter, und damit die ambulanten Hilfen, werden von den Kommunen finanziert und deren Kassen sind bekanntlich leer. Viele Hilfsangebote sind in den vergangenen Jahren gestrichen worden – und das betrifft alle Bundesländer. Reicht die Zahl der ambulanten Hilfestellen nicht aus, dann haben die Richter – je nach Fall – keine Wahl: der Jugendliche muss hinter Gitter.

Ganz nebenbei entlastet das auch finanziell die Kommunen, denn für die Finanzierung des Strafvollzugs sind ausschließlich die Länder zuständig. Im Gefängnis angekommen, werden die Probleme für den Häftling noch größer, sagt Klaus Boers und nennt Zahlen aus Nordrhein-Westfalen.

Die haben zur Zeit einen Personalschlüssel in NRW von 2,1 oder 2,2, das heißt also ein Gefangener zwei Bedienstete, dass sind aber alle Bediensteten drin, einschließlich Personal, also das medizinische Personal und Verwaltungspersonal, und die hatten in den 90iger Jahren 1,7. Jetzt sagt NRW wir schaffen 890 neue Plätze mit 330 Bediensteten, das heißt sie gehen von einem Personalschlüssel von 2,7 aus, das ist reiner Verwahrvollzug. Da wird sich nichts ändern.

Schon jetzt gibt es also zuwenig Personal. Allerdings: Mehr Personal bedeutet auch höhere Kosten für die Bundesländer. Angesichts der schlechten Haushaltlage dürfte sich das kaum ein Land leisten können. Doch auch dafür hat der Kriminologe eine Lösung parat:

Und der einzige Weg mit Kosten und so, dass kann man wirklich lösen: Weniger Gefangene, gucken sie sich dieses Opfer an, sechs Monate Freiheitsstrafe, Bewährung, die ganzen drogenabhängigen Erwachsenen im Strafvollzug, Ersatz- Freiheitsstrafen, Kurz-Freiheitsstrafen, man kann ohne weiteres ein Drittel rausnehmen aus dem Strafvollzug. Und das würde sehr viel Luft schaffen, in den Zellen und auch für das Personal sehr viel Luft und Zeit schaffen. Ohne dass wir allzu viel Geld darein tun müssen.

Mehr Alternativen zu Haftstrafen. Diese Forderung des Wissenschaftlers Klaus Boers findet im politischen Raum im Moment kaum Gehör. Denn jetzt geht es in Nordrhein-Westfalen und dem Siegburger Fall eher um anderes: Wie viele weitere Haftplätze wird es geben? Und wie viel mehr Personal wird eingestellt? Wer ist schuld an dem brutalen Foltermord? Wer übernimmt dafür die politische Verantwortung?

Klaus Jäckel, vom Bund der Strafvollzugsbediensteten, verfolgt diese Diskussion argwöhnisch. Schließlich kämpft auch er schon seit Jahren dafür, dass sich die Situation in den Gefängnissen ändert und mehr Personal eingestellt wird. Bis zum Siegburger Foltermord fand er mit dieser Position wenig Aufmerksamkeit. Und so schaut er eher pessimistisch in die Zukunft:

Ich habe Sorge, dass wir jetzt in wenigen Tagen, wenn der Vorgang abgeschlossen ist, wir wieder zur Tagesordnung übergehen und dann alles wieder seinen normalen Weg geht.