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Warum Terrorgruppen und Sekten nicht miteinander vergleichbar sind

Seit dem Jahr 2001 ist viel über Osama Bin Ladens Terrororganisation Al Quaida geschrieben worden. Und bei jedem weiteren Anschlag wird genau unter die Lupe genommen, welche Mechanismen sich dort abspielen, in der Hoffnung ein vorhersehbares Muster aufdecken zu können. Doch bisher gibt es dort mehr Dunkel statt Licht, auch die Geheimdienste stochern eher im Nebel. Dafür, dass die Fakten rar sind, sind die Spekulationen allerdings um so zahlreicher.

Das jüngste Erklärungsmuster deutscher „Terrorismusexpterten“ sieht so aus, dass Al Quaida eine Sekte sei. Nachzulesen ist diese interessante Behauptung im „Terrorismus-Lexikon“von Kai Hirschmann, Rolf Tophoven und Wilhelm Dietl, das kürzlich im Eichborn-Verlag erschienen ist. Da der Begriff „Lexikon“ im Titel den gehobenen Anspruch eines Nachschlagwerkes impliziert, lohnt es sich doch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, inwieweit Terrorismus und Sekten etwas gemeinsam haben.

Der ursprüngliche Sektenbegriff wird laut Brockhaus (Ausgabe 1886) so definiert:

„Sekten nannte man ursprünglich die philosophischen Schulen, welche durch Verschiedenheit ihrer Prinzipien und Methoden gegeneinander sich abschlossen. Im kirchlichen Sprachgebrauch wurde das Wort auf die kleinern religiösen Parteien übertragen, die wegen Verschiedenheit in Lehre, Kultus und Sitte von den großen Kirchengemeinden sich absonderten. Nicht nur das Christentum, sondern alle ausgebildeten Religionen haben Sekten aufzuweisen. Die Anhänger einer Sekte heißen Sektierer.“

(Zitiert nach www.agpf.de/begriff.html)

Heute wird der Begriff Sekte von seriösen Wissenschaftlern eigentlich nicht mehr verwendet. Denn im Laufe der Jahrhunderte ist die Bezeichnung Sekte im Umgangssprachlichen zu sehr verwässert worden: Von Scientology bis zum Maharishi Kult wurde alles mit diesem Etikett versehen, dabei ist „Sekte“ noch lange nicht „Sekte“. Heute sind es oftmals Kulte, die eigenständig entstanden sind und sich nicht von bestehenden Religionen als „Sektierer“ abgespalten haben. Dabei unterscheiden sich diese Gruppen in Motivation, Gegenstand des Kults, der Ziele und der verwendeten Mittel so sehr voneinander, dass ein einheitlicher Oberbegriff dem Thema nicht gerecht wird.

Gemeinsam ist diesen Gruppierungen in der Regel aber: Ein Absolutheitsanspruch, in dem was sie vertreten. Mitglieder, die zu der Gruppe kommen, werden bald komplett vereinnahmt, vom bisherigen Familien- und Freundeskreis separiert. Wer sich aus der Gruppe gegen die Gruppe stellt, gar aussteigen möchte, muss mit massiven Repressalien rechnen, die in erster Linie destruktiver psychischer Natur sind, aber auch körperliche Gewalt beinhalten können. Der jeweilige Kult- oder Gruppenführer ist absolut tonangebend, seine Anhänger müssen sich blind nach ihm richten. Der Kultführer kann heute die Erde als Scheibe definieren und morgen als Dreieck, beiden Definitionen haben die Anhänger widerspruchslos zu folgen.

Nur im Ausnahmefall haben solche Gruppen den Anspruch, das bestehende politische und gesellschaftliche System mit offener Gewalt zu bekämpfen.

Und: Die meisten Mitglieder solcher Gruppen sind Opfer dieser Strukturen und nicht Täter.

Eine ausführliche Diskussion um den Sektenbegriff gab es in der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquetekommission „Sekten und so genannte Psychogruppen“. Die Debatte dazu ist sehr gut auf dieser Seite wieder gegeben: http://www.agpf.de/Begriff.htm

Und der Terrorismus? Er hat ein ganz wesentliches Kennzeichen: Terroristen setzen gezielt Gewalt ein, um ihre Ziele zu erreichen. Für Terroristen ist Gewalt das absolute Werkzeug. Das Ziel der Terroristen beinhaltet immer eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen und/oder der politischen Verhältnisse.

Terroristische Gruppen sind nach außen hin abgeschottet. Innerhalb der Gruppe können Diskussionen in einem bestimmten Rahmen aber durchaus möglich sein. Ein Beispiel dafür ist die RAF, wo Ziele, Opfer und Art der Gewaltanwendung durchaus ein Diskussionsgegenstand waren.

Die Attentate der vergangenen Jahre von islamistisch-fundamentalitischen Gruppen haben gezeigt, dass die Täter durchaus nicht alle im direkten Kontakt zu Osama bin Laden standen. Bin Laden wird zwar gerne als der geistige Führer bezeichnet, zur konkreten Attentatsplanung- und Ausführung braucht es aber offenbar nicht seinen unmittelbaren „Segen“.

Und: Mitglieder von Terrorgruppen sind in erster Linie Täter und nicht Opfer, so wie es bei „Sekten“ oder „Kulten“ der Fall ist.

Kurzum: Der Vergleich von Terrorgruppen und Sekten passt schlicht nicht. Täter und Opferverhältnisse werden dadurch verwischt. Bei „Sekten“- und „Kultmitgliedern entsteht der Eindruck, dass sie terroristische Absichten verfolgten, was ganz und gar nicht die Regel ist. Bei Terrorgruppen entsteht dagegen der Eindruck, wenn der Sektenvergleich genutzt wird, dass es sich schlicht um „Spinner“ handelt, da der umgangssprachliche Begriff der Sekte das impliziert. Angesichts der deutlichen Gefahr, kann davon aber hier wohl nicht die Rede sein.

Die „Experten“ werden sich wohl noch einmal den Kopf zerbrechen müssen um eine bessere, wenn vielleicht auch nicht ganz so plastische Beschreibung, für das Phänomen Al Quaida zu finden.