Sekten & GurusHörfunkbeiträge

Tod eines Scientologen

Tod eines Scientologen
Deutschlandfunk
Studiozeit: Aus Religion und Gesellschaft
11. März 1998
Eine Sendung von Claudia Sanders

Länge: 19´00
Sprecher:
Scientology: Die umstrittene Organistion ist in den vergangenen Jahren zunehmend zum Politikum geworden. Die Psychogruppe wird seit dem Sommer 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet. Die einen halten solch eine Reaktion des Staates für übertrieben, die anderen würden Scientology am liebsten verbieten, weil ihnen die Gruppe als zu gefährlich erscheint. Bei dieser Diskussion gerät das Schicksal von Scientology-Opfern leicht aus dem Blickfeld. Nach Angaben der Organisation gibt es in Deutschland etwa 30 Tausend Mitglieder. Im vergangenen Jahr starb eines dieser Mitglieder; Konrad A., unter mysteriösen Umständen. Die Münchener Oberstaatsanwaltschaft ermittelt nun. Scientology hingegen lehnt jede Verantwortung für den Tod des Mannes ab, bezeichnet die polizeilichen Ermittlungen als „böswillige Verdächtigung Dritter.“ Hören Sie die Geschichte über den Tod des Konrad A., aus der Sicht des Bruders. „Tödliche Karriere – in den Fängen von Scientology“: Eine Sendung von Claudia Sanders

1.O-Ton:
Atmo Auto
Sprecherin:
Zwei Autostunden von München entfernt. Das Bauernhaus liegt etwas abseits der Straße. Im Vorgarten, gegenüber der Haustür, steht ein kleines Heiligenbild, mit roten Rosen, einer Kerze und einem Foto von Konrad. Er ist im vergangenen Sommer gestorben, nachdem er drei Wochen im Koma lag. Der 43jährige war Scientologe. Immer noch rätselt heute seine Familie über Konrads Todesursache, der doch nach außen hin so kerngesund wirkte.

2.O-Ton:
Atmo Großstadt
Sprecherin:
Rückblende: Herbst 1974
Konrad hat gerade seinen Wehrdienst abgeschlossen, er lebt in München und macht eine Ausbildung bei der Bundesbahn. In dieser Zeit begegnet er Scientologen. Sie versprechen ihm geradezu unglaubliches, wenn er die scientologische Technik – Dianetik genannt – anwenden würde. Sie verweisen den Neuling auf das Standardwerk des Scientology-Gründers Lafayette Ron Hubbard: „Dianetik – Der Leitfaden für den menschlichen Verstand. Darin findet Konrad, damals 20 Jahre alt, unter anderem folgendes über Dianetik:
3. O-Ton/Zitat:
Sie ermöglicht dem Menschen eine Ebene der Fähigkeit und Vernunft, die ihn weit über den gegenwärtigen Durchschnitt hebt, und sie zerstört nicht seine Lebenskraft und Persönlichkeit, sondern sie erhöht sie.

Sprecherin:
Scientologen, so das Standardwerk der Organisation, verfügten über eine höhere Intelligenz, würden weniger krank und sie bekämen noch nicht einmal einen Schnupfen. Konrad hatte daran geglaubt. Auch wenn er mit seiner Familie kaum darüber spricht – vielleicht ahnend, daß ihn dies, in einem streng katholischen Umfeld, zum Außenseiter abgestempelt hätte. Konrads Bruder Bernd erinnert sich:

4. O-Ton:
Das Thema Scientology war bei uns immer ein Tabu und man hat wohl gewußt, daß er Kontakte hat zu Scientology, aber das war für uns kein Gesprächsthema, er hat auch das Thema nicht gesucht, von sich aus nicht, also er hat weder versucht jemanden von uns zu SC zu bringen oder zu werben für SC noch hat er von sich aus irgendwelche Äußerungen über SC losgelassen, also von daher überhaupt nix.
Sprecherin:
Daß ein Scientology-Mitglied nicht für die Organisation wirbt, ist wirklich ungewöhnlich. Denn selbst wenn Konrad kein Interesse daran gehabt hat, seine Familie anzuwerben – so wird er doch, wie viele andere Scientologen, unter dem Druck gestanden haben, möglichst viele Kurse und Bücher zu kaufen. Fast sein ganzes Geld hat er an Scientology weitergegeben:

5.O-Ton: 4
Wir haben haufenweise, säckeweise Rechnungen gefunden, sogenannte Spendenrechnungen an SC, die waren einfach so verstreut, die hätten wir in einem großen Sack zusammenbündeln können, soviele waren das. Und Bücher alle Bücher, die es gibt und sonstige Unterlagen, alles was mit SC zu tun hat konnte man da finden, in dem Raum, wo der Konrad gewohnt hat.
Sprecherin:
Konrads Karriere als Scientologe verläuft trotz der langjährigen Mitgliedschaft alles andere als gradlinig: Mal erreicht er sein scientologisches Kursziel, mal wird es ihm wieder aberkannt, mit der Folge, daß er wieder und wieder teure Kurse belegen muß. Diese sind aber natürlich alle mit dem Versprechen versehen, daß man ihm ja nur helfen wolle, ein erfolgreicheres Leben zu führen.

Schließlich entscheidet sich Konrad für einen folgenschweren Schritt: Er ist Beamter auf Lebenszeit, er arbeitet als Bahnbusfahrer. Diese Arbeit gibt er nun auf: Er macht sich als Busunternehmer selbständig – Scientology werde ihm dabei schon helfen:

6.O-Ton:
Er hat sich selbständig gemacht, so cirka vor 3 Jahren und seit 2 Jahren hat sich seine Persönlichkeit sehr, sehr stark verändert. Er war sonst immer eine Stimmungskanone, er war lustig,war sehr offen, die letzten 2 Jahre ist er zusehends nachdenklicher, depressiver geworden, abwesend, wir haben alle gedacht, das hängt mit der Selbständigkeit zusammen, aber im Nachhinein sehe ich das anders, der hat andere Probleme gehabt.

Sprecherin:
Besonders finanzielle Probleme. Denn um immer mehr Geld für Scientology flüssig zu machen, schreckt Konrad nicht davor zurück, Kredite sogar auf das Elternhaus aufzunehmen. Seine Mutter unterschreibt die Anträge, sie glaubt ihrem Sohn, daß sich dies alles auszahlen wird – eine Investition in die Zukunft. Damit wird Scientology aber auch zu einem Thema in der Familie.
Im Frühjahr 1997 wird im Fernsehen eine Reportage über den mysteriösen Tod der amerikanischen Scientologin Lisa McPhearson gezeigt: Offenbar wollte sie aus der Organisation aussteigen, bevor sie mit ihrem Auto einen Auffahrunfall verursacht. Anschließend kommt sie in das Hauptquartier Scientologys, in Clearwater/Florida. Dort bleibt sie 17 Tage, bis sie tod in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Der Obduktionsbericht ergibt, daß die 36jährige regelrecht verdurstet ist und mehrere Tage vor ihrem Tod im Koma gelegen hat. Von den Scientologen wurden ihr hoch dosierte Vitaminpräperate verabreicht. Konrads Reaktion auf diesen Film:

7.O-Ton:
Meine Mutter hat ihn angesprochen, während die Reportage lief, schau dir das mal an, was da Sache ist, was da los ist und er hat sich furchtbar amüsiert, er hat gelacht, er hat nur noch gelacht und gesagt, was die Medien machen ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, soetwas ist nie passiert, es wird alles nur aufgebauscht man will so die SC fertig machen und das ist offensichtlich alles nur gespielt, das ganze und so einen lustigen Film habe ich schon lange nicht mehr gesehen. So hat er reagiert
Sprecherin:
Konrad ahnt nicht, daß sein Tod Parallelen zu dem Tod der Amerikanerin aufweisen wird.
Wenige Wochen später, es ist der 17. Juli 1997:

8.O-Ton:
Das war am Donnerstag abend so gegen 21 Uhr, schätze ich mal, oder 21.30, da kam der Anruf, der Konrad war hier auf der Couch gelegen, da kam der Anruf, wir waren zu 3. oder zu 4. Hier am Tisch, er nahm den Hörer und man merkte sofort, das war ein Anruf, der ihn stark bewegt hat. Er war sofort zittrig, hat geschwitzt, er war sehr nervös und er hat nur immer ganz kurze Wortbrocken gebracht, er konnte gar nimmer richtig reden, so nervös war er, und sagte dann noch zum Schluß ja ist gut, das mache ich, oder ja ich komme, ich weiß nicht mehr genau. Und legte dann auf, packte seine Sachen und eine halbe Stunde später fuhr er mit dem Bus los und wir haben dann anhand der Tachoscheibe festgestellt, das er nach München gefahren ist.

Sprecherin:
Wie Konrad die letzten Tage seines Lebens verbringt, ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Bernd hat bisher herausgefunden, daß sein Bruder offenbar den Auftrag hatte Scientologen nach Frankfurt am Main zu fahren. Dort demonstrieren sie am 21. Juli für „religiöse Freiheit und gegen die „Unterdrückung Scientologys“ in Deutschland. Auf dem Weg dorthin, aber noch in München, verursacht Konrad mit seinem Bus einen Unfall- einen Auffahrunfall- wie die Polizei protokolliert. Es ist nichts darüber vermerkt, so Bernd, daß sein Bruder verletzt worden wäre. Konrad läßt den Bus stehen und einige Scientologen fahren mit ihren eigenen Wagen nach Frankfurt. Konrad mietet ein Auto, welches wiederum –etwas später- in einen leichten Unfall verwickelt ist. Der Fahrer ist aber nicht Konrad, sondern eine Frau, offenbar auch eine Scientologin. Die Fahrt geht trotzdem weiter, so berichten es später wenigstens Scientologen Konrads Bruder Bernd. In einem Frankfurter Hotel angekommen, bemerkt angeblich ein Zimmerkellner, daß es Konrad sehr schlecht geht. Der 43jährige soll dann wieder zurück nach München gebracht worden sein.

9.O-Ton: 2
Der Notarzt wurde verständigt abends um 22.30 Uhr cirka, er fuhr in die Bergstraße, da ist die Zentrale von SC und der Notarzt hat dann gesagt, ich hab mich später dann mit ihm unterhalten, paar Tage später, er hat gesagt, daß der Bruder kaum noch geatmet hat, wie er gekommen ist, er war bei den Scientologen, er hat kaum noch geamtmet, er mußte ihn sofort beatmen, hat ihn ins Krankenhaus geliefert; das 2 Kilometer in der Nähe war, da sind Scientology-Leute mitgefahren auch und im Krankenhaus ist er dann gegen 1 Uhr früh ins Koma gefallen. Und bleib auch drei Wochen im Koma und ist auch nicht mehr erwacht.
Sprecherin:
Die Ärzte stehen vor einem Rätsel – keine Therapie hat bei dem Patienten angeschlagen.

10.O-Ton:
Der Krankheitsverlauf bzw. die Geschichte im Krankenhaus war für die Ärzte sehr untypisch, so daß sie uns empfohlen haben oder uns gebeten haben, daß mein Bruder obduziert wird und wir haben dann auch eingestimmt, weil wir auch von Anfang an der Meinung waren, daß irgendwas an der Sache nicht korrekt gelaufen ist.. Bei der Obdukation wurde dann festgestellt, daß Konrad sehr, sehr schlechte Organe hatte.
Sprecherin:
Bernd recherchiert auf eigene Faust weiter;- er will erfahren, welche Rolle Scientology beim Tod seines Bruder spielt. Nicht zuletzt versucht er zu begreifen, was seinen Bruder an dieser Organisation – die von Kritikern als „menschenverachtendes Kartell“ bezeichnet wird – so fasziniert hat. Er fährt zu dem Münchener Ableger Scientologys:

11.O-Ton: 10
Ich bin mit Wut da hingefahren, ständig mit Wut dahingefahren, weil ich wußte, daß irgendwas, das die Scientologen iregndwas wissen, was sie mir nicht sagen, über die letzten Stunde oder Tage meines Bruders. Sie haben mir dann meine Wut genommen, Mitleid gezeigt, Mitleid, das ich heute nimmer nachvollziehen kann, woher dieses Mitleid kam, das war sehr eigenartig damals. Ich bin 4,5mal dahin um was rauszufinden, Informationen über meinen Bruder, aber ich hab im Grunde nichts konkretes erfahren.

Sprecherin:
Anhand der Unterlagen und Bücher, die Bernd im Zimmer seines toten Bruders findet, läßt sich dennoch einiges nachvollziehen. So belegen Rechnungen, daß Konrad über Jahre hinweg hochdosierte Vitaminpräperate genommen hat. Vitamine sollen Scientologen nehmen, wenn sie auditiert werden. Dieses Auditing ist ein von Scientology erfundenes Verfahren. Durch ein ständiges Frage -Antwort-Spiel soll der Anhänger von psychischen Problemen befreit werden. Das Bundeskriminalamt bezeichnete aber schon in den 70er Jahren dieses Auditing als eine Art Gehirnwäsche.

Vitamine nehmen Scientologen auch, wenn sie sich zum Beispiel einer Reinigungsprozedur -einem sogenannten Rundown- unterziehen müssen. Ein Rundown ist nach scientologischer Lesart dann nötig, wenn jemand Drogen genommen hat – die Einnahme von Drogen ist nämlich in der Organisation verpönt. Und: Für Scientologen gehören zu den Drogen nicht nur Alkohol und andere Rauschmittel sondern auch Medikamente – selbst Aspirin fällt darunter.
Wie häufig sich Konrad diesen „Kuren“ unterzogen hat, ist noch unklar. Nicht geklärt ist auch, welche Auswirkungen es hat, wenn jemand über Jahre hinweg hohe Vitaminmengen einnimmt. Es ist bekannt, daß eine langfristige Überdosierung bestimmter Vitamine innere Organe stark schädigen kann. Inwieweit dies eine Erklärung dafür sein könnte, daß Konrads Organe in solch einem schlechten Zustand waren, ist ungewiß.

Sicher ist hingegen, daß Konrad daran glaubte, daß die scientologische Dianetik-Technik ihn vor Krankheiten schützen kann. Deshalb verzichtete er als Selbständiger auch auf eine Krankenversicherung. Wie sehr Scientologen den dianetischen Heilungskräften vertrauen, ist nachzulesen im sogenannten „Buch Null“, der ersten Dianetik – Schrift des Scientology-Gründers:
12. O-Ton/Ziatat:
Arthritis, Hautentzündungen, Allergien, Asthma, manche Herzkranzgefäßbeschwerden, Augenleiden , Schleimbeutelentzündungen, Magengeschwüre, Nebenhöhlenentzündungen usw. sind erst ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem Katalog psychosomatischer Krankheiten. Seltsame Beschwerden und Schmerzen, wie sie in den verschiedensten Körperteilen auftauchen, sind im allgemeinen psychosomatischer Natur. Migräne ist ein psychosomatsiches Leiden und kann, wie all die anderen auch, mit Hilfe der dianetischen Therapie ausnahmslos geheilt werden (und zwar geheilt in der vollsten Bedeutung des Wortes)

Sprecherin:
Heilen mit Dianetik? Das und der Tod Konrads haben die Münchener Oberstaatsanwaltschaft hellhörig gemacht. Praktiziert Scientology etwa eine Art von Behandlung, die eigentlich nur Ärzte ausüben dürfen? Dies wäre ein Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz. Sind es diese Behandlungen, mit Vitaminpräperaten, die langfristig gesundheitsschädlich sein können?
Vor gut einem Monat durchsuchten mehr als 100 Polizisten die Münchener Scientology-Räume. Kistenweise beschlagnahmten sie Unterlagen, die Aufschluß darüber geben sollen, was mit Konrad tatsächlich vor seinem Tod geschehen ist. Ob die Staatsanwaltschaft aber Anklage gegen Scientologen erheben wird, steht noch nicht fest. Denn es dauert noch Wochen, bis die Unterlagen alle ausgewertet worden sind. Währenddessen versucht Konrads Familie wieder in einen erträglichen Alltag zurückzufinden- doch das wird ihnen nicht leichtgemacht:

13.O-Ton:
Es kommen bis heute noch täglich Briefe und Zeitungen von Scientologen oder so Briefe, persönlich geschriebenen Briefe, wo z.B drinnsteht :“Hallo Konrad! Wie geht es Dir?“, mit einem kleinen Vorwort, zum Schluß steht dann verkaufe diese Woche 6 Bücher von Ron usw. also es kommt ständig Post, als ob nie was passiert wär, die Post kommt noch genauso wie zu seinen Lebzeiten.
Sprecherin:
Bernd und seine Familie mußte teuer für die Scientology-Mitgliedschaft des Bruders bezahlen. Und sie müssen das auch weiterhin:

14.O-Ton:235
Wir haben schon gemerkt, bevor wir das Erbe angetreten haben, daß wir eine große Schuldenlast auf uns nehmen, die Schuldenlast auf der Bank war so groß und so hoch, daß wir all den Grundbesitz und die Wälder, die Wiesen das Ackerland, wir mußten alles verkaufen um diese Schulden auf der Bank zu tilgen (und dieser hohe Schuldenberg ist anhand unserer Nachforschungen allein durch Scientology entstanden.)

Sprecherin:
Geblieben ist der Familie nur das Elternhaus. Bernd schätzt, daß sein Bruder mindestens 600 Tausend Mark für Scientology ausgegeben hat. Dazu kommen jetzt noch die Krankenhauskosten von etwa 40 Tausend Mark, die bezahlt werden müssen.
Die Familie ist finanziell ruiniert,- doch noch viel schlimmer sind die Zweifel: Warum war Konrad überhaupt bei Scientology? Hat ihm etwas gefehlt, das er hoffte dort zu finden? Hätte die Familie ihn retten können? Hätte überhaupt irgendjemand Konrad nach 23 Jahren Scientology aus den Fängen der Organisation befreien können? Fragen, die für Konrads Familie unbeantwortet bleiben werden.
Wie gesagt, die Geschichte von Konrad ist eine subjektive Geschichte. Und noch einmal sei der Vollständigkeithalber erwähnt, daß Scientology jegliche Verantwortung am Tod Konrads bestreitet. Polizeiliche Ermittlungen gegenüber Scientology bezeichnet die Organisation als eine „böswillige Verdächtigung Dritter“.