Innere SicherheitSekten & Gurus

Scientology unter Druck

Ich habe eben im Netz einen uralten Artikel von mir gefunden – als ich noch für den Bonner General-Anzeiger geschrieben habe. Aus dem Jahr 1996.

Bonner General Anzeiger
28.10.1996
Es geht nicht um das Seelenheil

Von Claudia Sanders

Scientologen weltweit in der Kritik – Aufschlußreiche Papiere in
Griechenland sichergestellt

Bonn. Wie gefährlich ist Scientology? Während sich deutsche Politiker und
Behörden mit dem Vorgehen gegen diese Organisation schwertun, führen andere
europäische Staaten bereits Strafprozesse gegen sie. In Frankreich und
Griechenland müssensich Dutzende von Scientologen derzeit vor Gericht
verantworten. Und auch in Spanien soll nun ein Prozeß gegen Mitglieder der
Organisation beginnen.

Die sogenannte Scientology Church wurde 1954 von Lafayette Ron Hubbard in
den Vereinigten Staaten gegründet. Schon wenige Jahre später versuchte
Hubbard seine Ideologie auch in andere Länder zu tragen. 1959 kaufte er ein
Anwesen inder Nähe von London. Doch bereits damals geriet seine
Organisation in die Kritik. Ende der 60er Jahre verbot Großbritannien
ausländischen Scientologen zeitweise die Einreise. Bis heute ist
Scientology dort weder als Religionsgemeinschaft noch als gemeinnützige
Vereinigung anerkannt.

Auch Hubbards Versuch, in Australien zu wirken, scheiterte: die
Organisation wurde im Bundesstaat Victoria 1968 verboten. Zwar ist dieses
Verbot mittlerweile wieder aufgehoben, jedoch erst nachdem die
australischen Gesetze ergänzt worden waren. Die machen es den Scientologen
in Victoria in Victoria nahezu unmöglich, ihre „Therapien“ anzubieten.

In Frankreich gilt Scientology als eine der gefährlichsten Organisationen.
In Lyon müssensich 23 Mitglieder für Straftaten vor Gericht verantworten.
Das Urteil wird am 22. November erwartet.

In der Schweiz ist in der vergangenen Woche eine „Motion“ — eine
Aufforderung an die Verwaltung, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten — von
der Politikerin Susanne Haller in Basel vorgelegt worden: Danach soll es
Gruppen und Einzelpersonen mit sektiererischem Verhalten nicht mehr erlaubt
werden, auf öffentlichen Straßen und Plätzen Mitglieder anzuwerben. Zudem
fordert Haller eine Aufklärung an Schulen über Scientologen. Über die
Motion soll im November vom Großen Rat entschieden werden.

Auch in Spanien wird den Scientologen schon seit längerer Zeit genau auf
die Finger geschaut. 1988 durchsuchte die spanische Polizei die
Geschäftsstellen der Organisation. 69 Scientologen wurden vorübergehend
festgenommen, darunter auch der damalige und heutige Präsident von Church
of Scientology International. Gegen eine Kaution von einer Millionen Dollar
wuurde er wieder auf freien uß gesetzt. Nach dieser Razzia erhob die
Madrider Staatsanwaltschaft Anklage gegen 21 Scientologen: Ihnen wird unter
anderem die Bildung einer verbotenen Organisation, Körperverletzung und
Steuerhinterziehung vorgeworfen. Ein Anklagepunkt ist auch die Anstiftung
zum Selbstmord.

Daß dies ein Thema vor Gericht wird, dafür hat Friedrich Schuch gesorgt. Er
war vier Jahre Mitglied bei Scientology in Spanien. „Durch die geistige
Abhängigkeit, die die Scientologen bei mir verursachten, wurde ich zur
Zahlung großer Geldbeträge bewegt. Dadurch verschuldete ich mich. Meiner
Frau hatte ich nichts von meiner Mitgliedschaft erzählt. Ich habe immer
gesagt, ich würde zu Managerkursen gehen, und irgendwie war das ja auch
nicht gelogen“, sagte Schuch im Gespräch mit dem GA.

Nach vier Jahren Scientology, zwischen 1986 und 1990, fand er keinen Ausweg
mehr aus der Misere: „Nachdem ich keine finanziellen Mittel mehr besaß,
sah ich keine Möglichkeit mehr, weitere Stufen der geistigen Befreiung —
so wie sie Scientology anbietet — zu erklimmen. So beschloß ich, dies in
einem nächsten Leben zu tun. Denn Scientology hatte mir auch die Angst vor
dem Tod genommen, und durch das viele Sprechen über Reinkarnation war
dieses Leben für mich nur eines von vielen. Durch das Erreichen der Stufe
Clear hatte ich mir zusätzlich die Sicherheit gegeben, im nächsten Leben
sehr gut zurechtzukommen.

Schuch versuchte sich umzubringen; seine Frau rettete ihm das Leben.
Anschließend war eineinhalb Jahre im Krankenhaus. Jetzt sitzt er im
Rollstuhl. Wegen Betruges, geistiger Manipulation, Anstiftung zum Sebstmord
und Schmerzensgeld wegen körperlicher Schädigung verklagt er nun die
spanischen Scientologen. Wann der Prozeß nun beginnen soll, wurde noch
nicht bekannt gegeben.

Noch in diesem Jahr wird in Griechenland der Prozeß gegen andere
Scientologen beendet sein. Dort ist Scientology unter dem „Kefe“ (Zentrum
angewandter Philosophie Griechenlands) aktiv. Mitte des Jahres
beschlagnahmte de griechische Polizei Unterlagen von Kefe: rund 2500 Seiten
Papier — und auf mehr als 1000 Seiten taucht immer wieder der Name
Antonios Alevizopoulis oder dessen Initialen auf. Der 65jährige war bis zu
seinem Tod im Frühjahr Priester und Sektenbeauftragter der
griechisch-orthodoxen Kirche und einer der stärksten Kritiker Kefes. Mit
einer „Dead Agenting Campaign“ sollte der Kritiker mundtot gemacht
werden. Akribisch genau Informationen über ihn gesammelt, Gerüchte
verbreitet.

Eines der sichergestellten Papiere von Kefe ist das Telex eines
griechischen Scientologen an die Europa-Zentrale in Dänemark. In dieser
Nachricht, die dem GA vorliegt, wird mitgeteilt, daß einem Journalisten
gesagt worden sei, der Priester habe Verbindung zu Nazis. In der selben
Nachricht wird folgendes festgestellt: „The good news are, that with
intervention of the CIA the greek intell(egence) dept(artment) regarding
NRMS (New Religious Movement) is closed down and the employees fired“
(Ergänzungen in Klammern von der Red.). Übersetzt: „Die gute Nachricht
ist: Nach dem Einschreiten des CIA (US-amerikanischer Geheimdienst) wurde
das griechische Sicherheitsbüro, welches neue religiöse Bewegungen
beobachtet, geschlossen und die Mitarbeiter entlassen.“

Deutsche Experten sehen sich durch den brisanten Aktenfund bestätigt: Wird
dadurch doch belegt, daß Scientology nicht eine gewöhnliche
Religionsgemeinschaft ist, die vorrangig um das Seelenheil ihrer Mitglieder
besorgt ist, sondern daß Scientology gezielt Kritiker angreift und
versucht, Macht und Einfluß zu gewinnen — auf allen Ebenen. Die
SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach wünscht sich, daß das Auswärtige
Amt die Akten aus Athen anfordert. Denn, so Rennebach: „Mit diesen
Unterlagen können wir einen besseren Einblick in die Organisation bekommen.
Außerdem liegt der Verdacht nahe, und darüber gibt es auch Erkenntnisse,
daß in Athen auch Daten deutscher Staatsbürger gesammelt worden sind.“